Mittwoch, 26. August 2015

Der Raub der schönen Farben

Es war einmal eine Prinzessin mit strahlenden Augen.
Eine neidische Fee hörte eines Tages das glückliche Lachen der Prinzessin und sah die Sonnen in ihren Augen leuchten. Da die Fee selbst schon lange nicht mehr lachte und ihre Augen vom Leben getrübt worden waren, verfluchte sie aus Eifersucht die strahlenden Augen der Prinzessin.
Deine Augen sollen sehen wie meine“, sprach die neidische Fee. „Die leuchtenden Sonnen will ich dir stehlen und keine Farben sollen dir zurück bleiben. In einer grauen Welt aus Schwarz und Weiß sollst du leben. Die schönen Formen will ich dir verzerren, bis ihre scharfen Kanten tief in deine Seele schneiden. Wenn Glück und Liebe zu dir kommen, sollst du blind an ihnen vorüber gehen. An dem Tag, an dem dir alle Farben geschenkt werden, soll mein Fluch sich erfüllen und alle Farben musst du für immer verlieren. Fliehen sollst du vor dem, der dich in allen deinen Farben liebt, und einsam wirst du sterben.“
Die Prinzessin hörte die Worte der Fee nicht mit ihren Ohren, denn die neidische Fee hatte sich vor der Prinzessin hinter einem großen Baum versteckt. Doch der grausame Fluch berührte die Seele der Prinzessin und hinterließ darin seine Spuren.
Als die Prinzessin groß genug war, um das Haus ihrer Eltern zu verlassen, wurde sie von einem Prinzen gefunden. Gemeinsam öffneten sie die Tür, hinter der die Prinzessin ihr Leben lang verborgen gewesen war. Denn, dass er zu ihr kommen würde, um sie in eine größere und noch schönere Welt zu entführen, war seit langem abgesprochen gewesen. Der Prinz schenkte der Prinzessin einen Blumenstrauß, der jede einzelne Farbe auf dieser wunderschönen Erde und auch solche, die noch nie gesehen worden waren, enthielt.
Die Prinzessin wusste, kein anderer Prinz hätte das für sie vermocht. Und noch am selben Abend beschloss sie, diesen und keinen anderen Prinzen zu heiraten. Denn sie erkannte in ihm den, den ihre Seele sich schon vor langer Zeit zu ihrem ewigen Gefährten gewählt hatte. Prinz und Prinzessin waren selig vor Glück und tanzten in einem Himmel, der nur ihnen beiden gehörte.
In der Nacht jedoch begann der Fluch der bösen Fee zu wirken.
Schreiend warf die Prinzessin den Strauß schwarzer welker Rosen von sich, den sie mit einem Mal in der Hand zu halten glaubte. Ungeziefer krabbelte über die verdorrten Blüten. Die Dornen stachen in ihre Haut und um sich herum hörte die Prinzessin das Wehklagen von abertausend Stimmen, die ihr endloses Leid herbei sangen. Was für einen Schmerz und was für eine Traurigkeit hatte der Prinz in ihr Leben gebracht!
Und die Prinzessin flüchtete zurück in das Haus, das sie für den Prinzen verlassen hatte. Sie hörte ihn an ihre Türe klopfen und es klang wie Hammerschläge in ihrem Ohr. Bald sah sie auch seine Gestalt vom Fenster aus, sein Bild spiegelte sich schrecklich im Glas. Gerade eben noch war er schön gewesen, jetzt sah sie in ihm das schrecklichste aller Monster.
O weh“, klagte die Prinzessin. „Was für ein Fluch liegt auf mir, dass alles Schöne sich so schnell in Schreckliches verwandelt hat!? Meine schönen Blumen sind verwelkt, mein Prinz ist zu einem Monster geworden! Warum hat sich mein Leben in einen Albtraum verkehrt?“
Und weil sie den Anblick und das Klopfen des Prinzen nicht ertragen konnte, floh die Prinzessin hinein in einen tiefen, dunklen Wald. Die Tiere des Waldes sahen, dass sie voller Schmerz war. Sie versuchten sich ihr zu nähern und ihre getrübten Augen zu heilen. Aber die Prinzessin floh bald auch vor ihnen. Sie fürchtete sich vor allem, denn wohin sie auch blickte, sah sie ihre schlimmsten Albträume lebendig werden.
Tief hinab unter die Wurzeln eines sehr alten Baumes kroch die Prinzessin. Dort blieb sie einen langen, kalten Winter lang und versteckte sich vor der Welt. Selbst der Gesang der süßesten Vögel konnte sie nicht zurück an die Oberfläche locken, denn er klang in ihren Ohren wie der Schrei von schrecklichen Fledermäusen.
Und der Prinz, der die Prinzessin verloren hatte, war verzweifelt. Bis tief in den Wald hinein war er ihr gefolgt und die Tiere hatten ihm von ihrem Schmerz berichtet. In seiner Not bat der Prinz die Vögel: „Sprecht mit ihr! Ich weiß, dass sie mich nicht hören kann! Sagt ihr, dass ich immer noch nach ihr suche, dass ich noch immer auf sie warte, dass ich sie immer noch liebe!“ Und als die Vögel traurig die Köpfe schüttelten, bat er das Rauschen der Blätter, für ihn zu sprechen.
Ich weiß nicht, wie ich sie erreichen soll!“, verzweifelte er. „Nur wenn ich einmal in ihre Augen sehen kann und sie in meine, kann ich ihre Krankheit heilen. Wenn sie in meinem Strahlen ihr eigenes erinnert. Wenn sie durch die Liebe in meinen selber wieder liebend wird.“
Der uralte Baum, bewegt von den Worten des Prinzen, seufzte: „Du kannst ihren Blick nicht erzwingen, Prinz. Doch du hast lange auf sie gewartet und lange nach ihr gesucht. Wenn du sie wirklich liebst, dann wird sie deinen Blick erwidern. Wenn es wahr ist, dass sich eure Seelen vor langer Zeit schon zusammen getan haben, dann werdet ihr unweigerlich wieder zueinander finden.“
Und dann stellte der uralte Baum dem Prinzen eine Frage: „Kannst du dich selbst noch sehen, wie dich die Prinzessin gesehen hat, bevor ihr Blick sich trübte? Und bist du noch derselbe?“
Der Prinz dachte darüber nach und schloss kurz seine Augen. Und nickte dann. „Ja, ich weiß noch, wie sie mich angesehen hat. Und ich sehe in mir, was sie in mir gesehen hat. Ich bin derselbe, der ich damals war.“
Und es geschah, was noch nie zuvor geschehen war: Der ururalte Baum machte einen Schritt zur Seite und gab den Blick frei auf die schlafende Prinzessin. Erschrocken fuhr sie hoch und sah um sich. Durch die dunklen Nebelschleier in ihren Augen brachen die goldenen Sonnen in den Augen ihres Prinzen. Der Fluch der eifersüchtigen Fee hatte seine Wirkung verloren. Der Prinz hatte für die Prinzessin gesehen, während sie in dunkler Nacht gelebt hatte, und hatte das Licht in ihren Augen wieder entfacht. Und die Prinzessin erwachte endgültig und für immer aus ihrem schrecklichen Albtraum. Ihre Augen leuchteten, wie sie es einst, vor dem Fluch, getan hatten.
Am Tag ihrer Hochzeit trug die Prinzessin ein Kleid, das, wie der Strauß, den sie in Händen hielt, in allen Farben erstrahlte, auch in denen, die noch nie zuvor gesehen worden waren. Sie und der Prinz tanzten durch einen ewigen Himmel.
Die Prinzessin war die glücklichste Frau der Welt. Solange, bis auch der Rest der Welt ebenso glücklich geworden war wie sie, solange, bis alle Augen wieder strahlten. Selbst die unglücklich eifersüchtige Fee erlangte eines Tages all ihre eigenen Farben zurück.


 

Mittwoch, 29. Juli 2015

Jenseits der Angst, Teil 4: Schmollen erlaubt!

Von der Linde werfe ich drei Tränen herab und höre auf, mich herunter zu fragen...

In Teil 1 von meiner „Jenseits der Angst“-Reihe habe ich erzählt, dass ich für mich feststellen konnte, dass Akzeptanz etwas sehr, sehr Kraftvolles ist. Mit der Akzeptanz ist das aber doch auch so eine zweischneidige Sache, deshalb will ich darauf noch einmal genauer eingehen.
Zu viel Akzeptanz kann nämlich auch gefährlich sein. Und nicht grundlos kennen wir alle den inneren Widerstand, der sich in uns aufbaut, wenn uns irgendwer erzählt, wir sollten dies oder jenes einfach hinnehmen, als unveränderlich akzeptieren. Ich hatte das zum Beispiel als Teenager immer mit meiner Oma. Und meine Oma war und ist wirklich eine wundervolle, ganz liebevolle Oma, so ein bisschen die typische „gute Seele“ ihrer Familie. Und ich als Teenager war ein ziemlich typischer Teenager, launisch und mit vielem überfordert, am meisten mit mir selber, und vor allem auch chronisch unzufrieden mit meinem Leben. Meine liebe Oma hat dann immer geseufzt: „Warum kannst du denn nicht einfach zufrieden sein?“
Sie hat das natürlich lieb gemeint und sie hatte ja auch irgendwo recht: Zufriedenheit fühlt sich einfach besser an als Unzufriedenheit und mir ging es ja mit meiner Unzufriedenheit auch selber nicht gut. Das Problem war nur, dass ich mich dann irgendwann schlecht gefühlt habe für meine Unzufriedenheit und mich selber gefragt habe: „Warum kann ich denn nicht einfach zufrieden sein?“ Und das war natürlich alles andere als hilfreich und wir wissen alle, wie gut es funktioniert, sich dazu zu zwingen, dies oder jenes zu fühlen. Das funktioniert nämlich einfach gar nicht.
Meine Unzufriedenheit war eben einfach da. Sie war eben der Platz, an dem ich emotional gerade war, und auch das (!) war der richtige Platz. Auch das kann und darf ich akzeptieren und mir erlauben. Erlauben finde ich in dem Zusammenhang auch ein schöneres Wort. Und ich kenne leider so, so, so viele Menschen, die sich ihre Gefühle nicht erlauben und sich emotional zensieren. Ich selber mache das auch, vor allem mit Wut. Wenn ich wütend bin, dann geht bei mir gleich der innere Monolog los: „Naja, deine Wut ist aber ganz schön selbstgerecht... und kannst du denn nicht Verständnis für so und so haben...“
Natürlich ist der Sinn der Sache auch wirklich nicht, dass ich nach zwanzig Jahren immer noch wütend auf beispielsweise meinen Exmann bin. Damit versaue ich mir nur effektiv selber das Leben, wenn ich in der Wut stecken bleibe, weil sich eben Wut und Angst und Unzufriedenheit und Trauer einfach nicht so gut anfühlen wie Liebe, Freude, Verständnis, Verbundenheit usw.
Trotzdem ist Wut dennoch nichts, was ich mir verbieten sollte. Keine Emotion ist schlecht. Im Gegenteil: Meine Unzufriedenheit als Teenager war auch wichtig, sie war ein super Wegweiser für mich. Hätte ich mich damals gezwungen, „zufrieden“ zu sein (würde sowas eben überhaupt gehen), dann wäre ich ja stehen geblieben, dann hätte ich nicht die Notwendigkeit verspürt, irgendwas zu verändern. Und das war aber wichtig! Meine Unzufriedenheit wollte mir eben auch einfach sagen: „Hey, hier, wo du gerade stehst, ist manches noch nicht okay, hier kannst du noch nicht stehen bleiben, such für dich andere Wege, such andere Möglichkeiten.“ Wir brauchen mitunter den Leidensdruck, der durch solche unangenehmen Gefühle wie Trauer, Wut, Angst usw entsteht, um voran zu kommen. Jedes dieser Gefühle ist ein genialer Wegweiser für uns.
Wenn ich zum Beispiel Angst davor habe, Leuten zu sagen, was ich eben zu sagen habe, warum ist das so? Wovor habe ich Angst? Vor Kritik? Vor Unverständnis? Und warum ist das so? Was macht es mit mir? Warum fühle ich mich schlecht, wenn mich andere verurteilen? Will ich ihnen wirklich so viel Macht über mich geben? Kommt das noch aus meiner Familie? Was habe ich da noch nicht aufgearbeitet?
Diese Gefühle funktionieren, sobald wir sie uns genauer ansehen und ihnen erlauben, da zu sein, als Wegweiser für unser persönliches Wachstum und deshalb ist es nur gut, dass wir sie haben. Wir dürfen uns erlauben, wütend und beleidigt und neidisch und unzufrieden und verzweifelt zu sein. Und im Optimalfall übernehmen wir gleichzeitig auch Verantwortung für diese Gefühle und nutzen ihr Wegweiser-Potential: Anstatt zu beschließen, dass ich so und so nicht mehr mag, weil ich vor Neid auf so und so platze, kann ich mich dann zum Beispiel fragen: warum bin ich neidisch? Was hat so und so, was ich auch haben will? Und wie kann ich es mir selber geben, damit ich nicht länger neidisch auf so und so sein muss?
Aber um an diesen Punkt zu kommen, ja, ist es unerlässlich, dass ich mir zuerst einmal eingestehe, dass ich neidisch bin. Und das geht wiederum nur, wenn ich mir erlaube, neidisch zu sein, wenn ich mir erlaube, den Neid zu fühlen. Solange ich mir denke „Ich doch nicht! Niemals!“ oder „Nein, das darf ich nicht. Nein, ich bin es nicht. Nein, ich denke mir das Gefühl jetzt einfach weg.“, werde ich wohl kaum an den oben beschriebenen Punkt kommen, an dem ich den Neid auf gesunde Weise auflösen und los lassen kann.
Auf die Vision bezogen, die ich in Teil 1 (siehe Blog-Einträge vom Februar) geschildert habe, würde das heißen: Es geht nicht nur darum, zu akzeptieren, dass ich eben auf dem Baum und auf der Leiter stehe und da anscheinend noch nicht herunter kann, sondern ich darf auch akzeptieren, dass ich da nicht sein will, dass ich mich da erst Mal unwohl gefühlt habe, dass sich etwas in mir gewehrt hat, dass ich Angst hatte, nicht mehr von dem Baum herunter zu kommen.
Deshalb eben auch der Satz: „Von der Linde werfe ich drei Tränen herab und höre auf, mich herunter zu fragen...“ Erst erlaube ich mir, nicht da sein zu wollen, wo ich bin, erlaube mir, mich unwohl zu fühlen, Schmerz und Trauer darüber zu empfinden, dass ich nicht da sein kann, wo ich sein will. Und dann akzeptiere ich, dass ich eben da bin, wo ich gerade bin und dass das jetzt gerade auch der richtige Platz ist.
Also wenn ich als Telefonistin gestresst auf der Arbeit sitze mit drei klingelnden Telefonen und meine Arbeit gerade einfach nur hasse, dann akzeptiere ich als Erstes meinen Hass und erlaube mir, gestresst und genervt und wütend und frustriert zu sein. Und danach akzeptiere ich, dass ich jetzt trotzdem hier bin. Und dann nehme ich den Hörer ab oder stehe auf und kündige. Zu akzeptieren, dass ich jetzt gerade hier bin, heißt eben auch nicht, dass ich akzeptieren muss, dass ich bis in alle Ewigkeit hier zu bleiben habe.
Inzwischen denke ich auch immer öfter, dass wir wirklich viel zu viel als unabänderlich akzeptieren. Also so genial und kraftvoll und befreiend Akzeptanz sein kann, glaube ich inzwischen nicht mehr, dass wir irgendetwas, auch wirklich nur irgendetwas (!) als unveränderlich hinnehmen sollten. Wobei es dann eben paradoxer Weise eben auch oft wieder die Akzeptanz ist, die dann erst etwas verändert... Zumindest war es ja auch in meiner Vision so, dass das Bild tatsächlich erst Mal scheinbar unveränderlich war. Und ich musste erst seine Unveränderlichkeit akzeptieren, um es dann verändern zu können.
Einen krasseren Fall hatte ich mal mit Zukunftsvisionen, lief aber nach genau demselben Prinzip ab. Nachdem ich lange Zeit mit Vergangenheitsaufarbeitung beschäftigt war und so das Gefühl hatte „Ich bin da jetzt mit dem Gröbsten durch“, ging es dann eben plötzlich los mit Zukunftsvisionen, die sich auch verändert haben, aber einige Szenarien kamen immer wieder und zwar waren das meistens die, auf die ich hätte verzichten können. Da war ich also wirklich genervt, habe mich gewehrt und war einfach voll und ganz dagegen...
Und auch da war aber der Trick wieder, dass ich die mögliche Zukunft, die ich gesehen habe und die ich absolut nicht wollte, einfach akzeptieren musste. Und aber wirklich akzeptieren musste! Austricksen funktionierte dann leider doch irgendwie nicht so richtig. Ich musste innerlich wirklich bereit sein, den Weg zu gehen, den ich vor mir gesehen habe, hätte das eben mein Weg sein sollen. Und nachdem ich das aber geschafft hatte, wirklich ehrlich zu sagen: Wenn es sein muss, okay, dann geh ich auch diesen Weg... Tja, schwuppdiwupp, da war einen Tag später dieses Zukunftsbild weg und komplett verändert...
Zusammenfassend würde ich also vielleicht die These aufstellen, dass der „Trick“ mit der Akzeptanz ist: Akzeptiere das Jetzt, das, was jetzt im Moment da ist, meinetwegen eben auch das, was jetzt im Moment die wahrscheinlichste Zukunft ist. Und akzeptiere das Jetzt komplett und ehrlich und kompromisslos (also keine faulen Ich-tu-mal-so-Tricks, das durchschaut das Universum leider). Und dann lauf los und ändere es. Falls du es dann noch ändern musst und es sich nicht schon selber verändert hat :-)
Und dann wirst du es vor allem auch nicht mehr aus einem Leidensdruck heraus, aus Wut oder Angst oder einem Gefühl von „Es muss anders werden, sonst... Es kann, darf so einfach nicht sein...“, ändern, sondern die Änderungen, die du dann noch vornimmst, die wirst du viel entspannter und gelassener und vertrauensvoller vornehmen. Und dann kommt auch einfach was Besseres dabei raus :-)
Und nicht vergessen: Schmollen und Wütend Sein und Hadern und Sich Denken „Universum, du Arschloch“ ist trotzdem erlaubt... Fühlt sich nur nicht so geil an, ewig da zu bleiben. Aber wenn ihr gerade da drin seid, genießt auch das :-) Es geht...


Freitag, 19. Juni 2015

Nächtlicher Monsterbesuch

Ein Monsterchen lugt ganz nah neben mir über die Bettkante und hat mich ziemlich erschreckt. Und doch war das Grausen diesmal schwach genug. Sodass ich vertrauen konnte. Trotz der großen gelben blutunterlaufenen Augen und der spitzen kleinen Zähne. Es durfte mich bei der Hand nehmen. Und dann hat es sich vorgestellt.
Es ist der Teil, der immer Licht saugt. Das Licht in anderen. Mit einem spitzen Finger bohrt es danach, braucht die Vergewisserung, dass es im anderen auch wirklich da ist. Dass es im anderen noch brennt. Zu groß die Verunsicherung, in welchem Zustand das eigene ist.
Während ich meinem Monsterchen lausche, merke ich, dass es trotz seiner fahlen grauen Haut und den dünnen, strähnigen Haaren nur ein argloses Kind ist. Es ist klein und nimmt mich jetzt mit sich herum. In mein Monstermuseum. Die Bibliothek meiner inneren Schrecken.
Mein Monsterchen führt mich. Trotz dünner, stelziger Beine fast anmutig tänzelnd. Ein eigenartiges Wesen, das ich nicht mehr fürchten mag.
Es zeigt mir den Teil, der immer aufrüttelt, aufrührt. Der die Schatten hoch jagt. Und das war wichtig. Der den Puls treibt und Ruhe verhindert. Ich entferne die große, schwere Kriegstrommel, auf die er solange gehämmert hat. Zu meinem Schutz. Ab sofort darf er Xylophon spielen.
Mein Monsterchen erinnert mich an den schwarzen Ring um mein Herz und wir sehen die Herzfresserin. Ganz in schwarzer Trauerkleidung. Ihr wachsen grausame Zähne. Und dann spuckt sie mir drei verkohlte Herzen auf den Tisch. Ich kann sie gerade so ertragen. Ihr eigenes Herz ist das Buch ihrer Schmerzen. Das Papier ist dünn, fällt schon auseinander, auf den Seiten gar keine Schrift mehr, schon verblichen. Zu lange her.
Sie braucht noch Zeit. Wir geben ihr einen goldenen Umhang. Sie atmet endlich einmal aus, als er ihre Schultern berührt. Als die goldene Kapuze ihr schwarzes Haar einhüllt, schaut sie sogar fast dankbar auf.
Sie kennen mich sehr gut, meine Monster. Und auch sich selbst. Sie sagen mir, meine Stärke, die mich immer wieder gerettet hat, obwohl sie mich gebissen und gekratzt haben, all die lange Zeit, sei meine Hoffnung. Und mit ihnen gemeinsam sehe ich das helle, grüne Licht an. Moosgrün. Es wächst in alle Richtungen.
Nur nicht in eine. Da sitzt ein unbeweglicher Moder-Pilz. Einen anderen Namen sagt er mir nicht. Er heißt nur Moder-Pilz und will modern. Sein Frühling kommt vielleicht noch.
Ich treffe auch ein altes Monster, das mittlerweile schon fast nicht mehr monströs zu nennen ist. Die schwarz-weiße Schachbestie bewegt sich jetzt elegant und lächelnd. Sie ist ganz freundlich, kein Hass mehr, die Sonne berührt sie wohlwollend, in den Schatten wird sie nicht dunkel. Sie erklärt mir ein wenig, nicht viel. Sie weiß, dass wir schon fast vertraute Freundinnen sind.
Und ich bin froh, dass es noch dunkel ist. Dass ich das Licht ausgelassen habe, das meine Monsterchen sonst immer weg leuchtet. 


 

Samstag, 16. Mai 2015

Warum, zum Teufel, „Fearlessness“?

Das frage ich mich manchmal selber, immer noch, obwohl ich die Antwort langsam eigentlich in- und auswendig kennen müsste: Ich konnte noch nie ernsthaft behaupten, dass meine kreativen Erzeugnisse nichts über mich verraten oder nichts mit mir zu tun haben. Nur das Ausmaß dessen, wie viel sie eigentlich mit mir zu tun haben, ist mir oft erst im Nachhinein so wirklich bewusst geworden. Was unter Umständen manchmal mit einem regelrechten Schock einher ging... Wie es mein Unterbewusstsein schafft, Dinge aufs Papier zu bringen, die in meinem Bewusstsein noch gar nicht angekommen sind, finde ich auch heute noch immer mal wieder ziemlich schockierend.
In Bezug auf „Fearlessness“ ist es aber nicht so schwer, zu erkennen, was genau das ganze Projekt mit mir zu tun hat. Die letzten zwölf Monate haben mich in extremem Maße mit meinen eigenen Ängsten konfrontiert. Mir ist es im letzten Sommer gelungen, ein Tor zu meinem Unterbewusstsein zu öffnen, hinter dem mich dann erst Mal ein kleiner, großer Albtraum erwartet hat.
Zum Einen hatte ich im letzten Jahr wirklich mehr Albträume als je zuvor in meinem Leben. Zum anderen wurde aber auch die Tagsüber-Welt immer unsicherer, hat sich immer mehr meinen Traumwelten angenähert, die Realität wurde immer surrealer. Es gab Phasen, in denen mein Zeitgefühl komplett ausgesetzt hat. Der gestrige Tag war komplett ausradiert, dafür waren Erinnerungen ganz klar aus einer Zeit, in der ich sechzehn war oder sogar sechs. Ich kann mir jetzt annähernd vorstellen, wie beängstigend es sich anfühlen muss, dement zu werden.
Und ja, ich selber hatte auch ziemlich viel Angst. Ich habe lange nicht verstanden (und vieles ist auch bis heute noch schleierhaft und mysteriös geblieben), was mit mir eigentlich passiert. Ich habe zunehmend die Kontrolle über meine inneren Prozesse verloren, mein Geist hat sich irgendwie verselbständigt, ohne mich in seine Pläne einzuweihen. Ich war einfach „anderswo“. Und hatte ständig Angst, dass die Sicherung irgendwann ganz durchbrennt und ich komplett den Verstand verliere (was auch immer das genau heißt, ich sehe „Verrückte“ inzwischen auch ein bisschen anders als vor meinem eigenen Fast- oder Ein-Bisschen-Verrückt-Werden).
Und im Grunde habe ich also das ganze letzte Jahr damit verbracht, darum zu kämpfen, wieder so „furchtlos“ zu werden, wie ich mir einbilde, dass ich es einmal war. Trotz allem. Trotz dem Unaussprechbarem und Unerklärbarem.
Deshalb „Fearlessness“.
Ein weiterer Grund, warum ich mein CD-Projekt „Fearlessness“ genannt habe, ist etwas banaler. Tori Amos lässt ihren gleichnamigen Song mit der Zeile enden „What were once two forces joined in Fearlessness“. Ich habe die Zeile aufgegriffen und in folgender Form an den Anfang von „Parts of me“, Song Nummer vier auf meinem Album gestellt: „Two forces joined in Fearlessness, now separated by fear“.
Darüber, was Angst in unseren Beziehungen, anrichtet, habe ich schon mehrmals geschrieben. Es ist auch immer noch ein persönliches Thema für mich und wurde deshalb auch eines, wenn nicht das, Kernelement in der „Fearlessness“-Story.
Auch deshalb „Fearlessness“.
Eine weitere Angst, die ich für „Fearlessness“ überwinden musste, hat damit zu tun, dass ich als mein eigentliches Medium die Sprache ansehe. Das Schreiben geht mir im wahrsten Sinne des Wortes leicht von der Hand. Das Wort ist eine Sprache, die ich, glaube ich zumindest, einigermaßen fließend spreche, Musik hingegen...?!
Der traurige Aspekt daran, dass ich seit so vielen Jahren schreibe, ist (neben vielen anderen schöneren und freudigeren Aspekten) der, dass ich im Prinzip auch seit Jahren gegen mein eigenes Verstummen anschreibe. Gegen die Stimmen in mir, die mir nicht erlauben wollen, mich so auszudrücken, wie es mir entspricht. Gegen meine angelernte Selbstzensur. Gerade im letzten Jahr hat sich aber ein Schweigen in mir ausgebreitet, das so viel größer und bedrohlicher war, dass es die Musik brauchte, um die Worte zurück zu bringen.
Erst in der Verbindung mit Melodien und Rhythmen konnte ich Worte finden, die sich dem Unaussprechbaren annäherten. Worte allein wären durch meine Schweigemauern nicht hindurch gekommen, sondern wären in der Sprachlosigkeit der Extremerfahrung, in der ich gefangen war, hängen geblieben. Worte allein hätten also diesmal nicht gereicht.
Was mich wiederum gezwungen hat, mich meinen Ängsten und Unsicherheiten zum Thema Musik zu stellen. Der Aufnahmeprozess von „Fearlessness“ war extrem chaotisch. Im Grunde wurde alles innerhalb einer Woche aufgenommen, in der ich mich auf dem Land eingesperrt hatte. Einen Großteil der Lieder habe ich nie richtig eingeübt, sondern einfach spontan irgendwie gesungen. Und noch dazu war ich in der Aufnahmewoche (im November) ziemlich erkältet.
Vernünftig“ und „professionell“ war das Ganze also nicht und ja, es gibt auch einige Fehler auf dem Album, über die ich mich im Nachhinein ärgere. Gleichzeitig weiß ich aber, dass „Fearlessness“ genauso entstehen musste, weil es sonst gar nicht entstanden wäre. Es musste ein „Herausbrechen“ sein, es musste schnell gehen, sonst hätte ich meine eigenen Ängste und Unsicherheiten und das Schweigen überhaupt nicht durchbrochen. Und beim zweiten ähnlichen Projekt werde ich schon viel sicherer und gelassener sein und beim dritten erst recht ;-) 
Natürlich gab es einige Menschen, die mir dabei geholfen haben, diese verhängnisvolle Tür zu meinem Unterbewusstsein zu öffnen und die Dinge dahinter zu entfesseln. Und ich nähere mich dem Punkt, an dem ich ihnen dafür dankbar sein werde. Ein bisschen Zeit braucht es vielleicht noch...
Und natürlich gab es auch viele Menschen, die mir durch diese Extremkonfrontation mit meinen eigenen Ängsten hindurch geholfen haben. Auch wenn ein beschissener Nebeneffekt meiner Sprachlosigkeit in Bezug auf meine Erlebnisse war, dass ich mich auch die meiste Zeit beschissen allein gefühlt habe. Ich weiß aber, dass ich das definitiv nicht war, sondern mir so viele verschiedene Menschen auf so viele verschiedene Arten geholfen haben.
Ich hoffe, dass ich eurer Hilfe, eurem Vertrauen und eurer Geduld, die ihr mir gegeben habt, gerecht werde und mich wieder vollkommen hinkriege ;-) Und es schaffe, diese krasse Zeit in etwas Positives zu transformieren.
Was ich auch weiß, ist, dass ich im letzten Jahr durchgehend nicht gerade my best self war... Ich habe andere zu Unrecht mit in mein Drama hinein gezogen und mit meinen Emotionen überlastet und überfrachtet. Bei ihnen möchte ich mich entschuldigen und um Verständnis bitten. Ich habe es wirklich versucht, so still wie möglich zu leiden... und besser habe ich es einfach nicht hinbekommen.
Was die Danksagungen angeht, gibt es für „Fearlessness“ natürlich auch eine Reihe von Helfern, die das Projekt überhaupt erst in der Form ermöglicht haben... Allen voran Jason Shaw, ohne den es die wundervolle Musik, die mir die Worte wieder gegeben hat, nicht geben würde. Ein großes Danke auch an Jonas Rossner fürs Mischen meiner Aufnahmen (trotz sowieso schon zu viel Arbeit ;-)). Und ein fettes Danke auch an mein Schwesterherz Lia, die für das Cover verantwortlich ist.
Inwieweit das Cover die Story von „Fearlessness“ versinnbildlicht, erkläre ich mal in einem anderen Blog oder Video (habe ich gerade beschlossen)...
Die komplette Geschichte wird hier erzählt: https://www.youtube.com/watch?v=9i1Jvz9BhvY (Englisch)


Sonntag, 5. April 2015

Vielleicht ein (Buch-) Anfang???!

Ich kann es immer noch nicht glauben. Nicht so richtig. Aber verzweifeln kann ich auch nicht mehr. Nicht so richtig. Weil es immer unmöglicher wird, die Augen zu verschließen vor den ganzen kleinen Wundern. Die immer noch groß genug sind, um mein ganzes Leben, mein ganzes Dasein, wie ich es einmal kannte, mit sich zu reißen.
Diese ganzen beschissenen kleinen Wunder haben mich vielleicht am allermeisten in die Verzweiflung gestürzt. Und lassen doch nicht zu, dass ich einfach aufgebe... Weil ich jetzt ja fast schon glauben muss. Also hänge ich hier, im Irgendwo, kann nicht richtig glauben und nicht richtig verzweifeln und tue irgendwie beides.
Meine Entscheidungen... all diese schrecklichen Entscheidungen. Im letzten Frühjahr hatte ich entschieden, dass ich dir ein Bild malen will. Dass ich dir ein Bild von uns malen will. Unsere Farben, unsere Energiekreise, die noch nicht verschmelzen können, aber sich hinter unseren löchrigen Mauern schon aufeinander zu bewegen, sich anlächeln. Manchmal entweichen Farbtupfer durch die Löcher in den Mauern... Begegnen sich in einem Zwischenraum. Vermengen sich mit Splittern des anderen, diesen kleinen Splittern, die doch immer durchschimmern durch unsere Mauern. Eigentlich, weißt du, eigentlich sind unsere Schutzmauern nämlich ziemlich lächerlich.
Sie schützen uns nicht. Und verbergen können sie uns schon zehnmal nicht.
Es war warm und ich wollte auf dem Balkon malen. Ich erinnere mich daran, weil es so schön war. Weil ich den Pinsel, als ich ihn in die Hand nahm, auch schon wieder abgeben konnte. Ich hatte dieses Gefühl, wie manchmal beim Singen oder Schreiben, dieses Gefühl, dass ich weg war. Abgetaucht in einen Ozean, der ganz von selbst Töne und Wörter und Farben hervor bringt. Ohne Anstrengung, ohne Überlegung. Ich war weg. Nur meine Hand malte. Die Farben haben sie zu sich gerufen. Es war bei keinem anderen Bild so stark gewesen, das Gefühl, weg zu sein, das Gefühl, übernommen zu werden, das Gefühl, dass die Bewegung, die gleich das Bild entstehen lassen wird, schon da ist. Und ich... ich muss nur nachgeben, ich muss nur zurück treten und abtauchen. Und dann kann es geschehen, weil es schon immer da war, die Wellen wissen genau, wo sie hin müssen...
Und diesmal waren es farbige Wellen, kreisende Wellen, schnell entstand das Bild. Ich musste nicht anhalten. Ich musste nie zögern oder überlegen. Die Farben haben sich für sich selber entschieden. Ich glaube nicht, dass mein Verstand sie gewählt hätte. Und dann war alles da. Und so schön und so stimmig. Es fühlte sich so richtig an das Bild, so wahr. Unsere Farben, unsere Energiekreise, unsere lachhaft dünnen Mauern... Die Farbtupfer und Energiesplitter dazwischen, in dem Gemisch zwischen uns. In der Zwischen-Illusion.
Ich hätte es wahrscheinlich nicht aufhalten können, dieses Bild. Es war ja schon da. Hat nur auf einen passenden Moment gewartet, um meine Hand zu übernehmen, um ins Leben gerufen zu werden. Und es war ja auch schön. Noch in seinem Entstehen hat es mich mit so viel Licht und Liebe geflutet, dass ich es nicht bereuen kann... nachgegeben zu haben. Auch wenn es alles so verhängnisvoll erscheint im Nachhinein. Und ich wünschte ich hätte nicht entschieden... was wahrscheinlich keine Entscheidung war.
Viele aneinander gereihte kleine Entscheidungen sind zu der Welle geworden, die alles und mich fort gerissen hat, fort aus meinem kleinen, vertrauten und sicheren Leben. Die Welle war schon immer mächtiger. Die Entscheidungen gehen einfach unter in ihr. Sie gehören ihr. Sie sind nur ihre Wassertropfen und bewegen kann nur sie.

Samstag, 21. Februar 2015

Jenseits der Angst, Teil 3: Von Erdbebentänzen und Tiefseetauchen in tiefen, tiefen Abgründen

Der Sand ist einverstanden, deine Spuren zu tragen...

Als ich noch ziemlich jung war, ist mir mal aufgefallen, dass die meisten Menschen ein „vermeidendes“ Leben leben. Soll heißen: Die meisten Menschen leben so, dass sie bestimmte als negativ angesehene Sachen vermeiden, zum Beispiel Schmerz. Sie versuchen also, ihr Glück zu finden, indem sie es vermeiden, zu fallen, abzustürzen, zu tief in irgendwelche Schmerzabgründe zu schauen.
Heute finde ich das natürlich auch sehr verständlich, aber damals war ich ja noch jung und dachte mir insgeheim: „Ziemlich komisch, was ihr da macht... Zu glauben, dass das „Vermeiden“ von irgendwas einen glücklich machen könnte.“ Jung und radikal wie ich war, war ich eher fürs Bejahen und auch fürs radikale Bejahen. Ich dachte mir: „Eigentlich lebe ich doch nur richtig, wenn ich das Leben absolut bejahe und wirklich alles von ihm... auch den Schmerz, den es mir bringt, auch die Katastrophen usw.“
Wenn ich das Leben wirklich liebe, wirklich gerne lebe, wirklich mit Hingabe lebe, dann liebe ich doch auch seine dunklen Seiten? Dann will ich die doch auch sehen und spüren und erfahren und verstehen? Dann will ich doch auch die Regentage kennenlernen und nicht immer nur in der Sommersonne stehen? Dann habe ich keine Angst, mich dem Leben wirklich auszusetzen. Mich von ihm auch erschüttern und verletzen zu lassen.
Also habe ich dann mit 13 voller Überzeugung verkündet, dass ich ein Leben will, das auch tragisch ist. Meine Familie hat sich wahrscheinlich gefragt: „Oh Gott, was ist nur schief gelaufen mit dem Kind???“ Und viele andere Menschen, denen ich seither begegnet bin, meinten ebenfalls, dass sie meine Einstellung irgendwie gefährlich fänden, sehr radikal...
Und radikal ist sie natürlich auch wirklich oder zumindest einigermaßen kompromisslos. Gleichzeitig hungern wir aber alle danach, genauso geliebt zu werden, kompromisslos, bedingungslos. Jeder von uns wünscht sich, dass er seine dunkle Regentagseite in seiner Beziehung nicht verstecken und unterdrücken muss, sondern dass sie da sein darf, dass sie gesehen wird und vielleicht eben sogar als etwas Schönes. Manchmal denke ich wirklich: So, wie wir das Leben lieben, so leben wir auch die Menschen in unserem Leben.
Will ich also die Begegnung mit deinen dunklen Seiten vermeiden oder setze ich mich dir kompromisslos aus? Bin ich wirklich bereit, mich von dir erschüttern und durch rütteln und verändern zu lassen? Kann ich Hingabe leben? Bin ich mutig genug, um mit dem Erdbeben zu tanzen, in das sich das Leben und jede Beziehung einfach notwendiger Weise ab und an verwandelt?
Eine lebendige Beziehung kommt meiner Meinung nach auch wirklich nicht ohne größere Erdbeben aus. Eben weil „Nähe“ einfach immer auch heißt „Nähe zu deinen dunklen Seiten“. Wir haben alle unsere Abgründe. Und wenn ich einem anderen Menschen wirklich, wirklich nahe sein will, dann bin ich natürlich auch seinen Abgründen nah und ebenso meinen eigenen. Je näher mir jemand ist, desto besser versteht er es, mich in meine eigenen Abgründe zu schmeißen und in seine zu ziehen.
Und beim „Vermeiden“ dieser Abgründe geht aber irgendwann früher oder später einfach die Nähe verloren. Genau wie im Leben: je vermeidender ich lebe, desto weniger lebendig fühle ich mich irgendwann, desto weniger lebe ich. Alles, was ich durch Vermeidung anhäufe, ist im Grunde Angst. Durch Hingabe hingegen... klar, da häufe ich durchaus auch Schmerz an, wenn ich mich bewusst dazu entscheide, mich erschüttern zu lassen, mich auszusetzen. Aber ich bleibe nah und ich bleibe lebendig. Und Schmerz ist ja auch eigentlich nichts Schlechtes.
Zumindest habe ich das für mich inzwischen wirklich erkannt, dass ich dem Schmerz in meinem Leben so, so viel verdanke. Der Wunsch nach einem auch tragischen Leben war also gar nicht so dumm ;-)
Schmerz hat uns so viel zu sagen, weil es eben einfach auch immer unser Schmerz ist. Schmerz ist wie ein reinigendes Feuer: Wenn ich ihm zuhöre, ihn anschaue, ihn in meinem Leben erlaube, dann heilt er mich eigentlich. Er bringt mich voran, er kurbelt mein persönliches Wachstum an. Er zeigt mir, wo die Ängste und Blockaden sind, die ich noch überwinden könnte. Wenn ich ihn aussperre, vermeide, dann bewirke ich nur, dass ich mich immer mehr vor ihm fürchte... und am Ende holt er mich ja doch auch irgendwann wieder ein. Und Angst ist im Grunde einfach zerstörerischer als Schmerz, weil Angst lähmt und einfriert. Schmerz kann brennen, aber er bewegt auch, transformiert und verändert und heilt eben im Endeffekt sogar.
Ich kann auf jeden Fall nicht behaupten, dass ich meine kompromisslos-radikale-Hingabe-Einstellung bereue. Ich habe mich vielen Erfahrungen ausgesetzt, von denen wahrscheinlich einige auf den ersten Blick wirklich so aussehen, als könnte man darauf verzichten. Da waren Gewalterfahrungen dabei, fette Familienkrisen, ein paar ordentliche Abstürze... Aber im Rückblick habe ich absolut kein Empfinden von: Das hätte ich mir doch ersparen können. Oder: Darauf hätte ich wirklich verzichten können. Hätte ich nicht. Ich will auf gar keinen Fall auf irgendetwas davon verzichten, ich möchte nichts ungeschehen machen, im Gegenteil: Ich bin dankbar dafür und im Frieden damit und all diese Erfahrungen haben mich extrem bereichert, mich tiefer gemacht, mutiger, sie haben vieles in mir angestoßen und befreit und transformiert und geheilt.
Wenn ich vor den Abgründen wegrenne, dann nehme ich die Angst vor ihnen aber überallhin mit. Wenn ich mich ihnen stattdessen hingebe, ihnen aussetze, kann ich im Optimalfall lernen, in ihnen zu schwimmen, und verliere einfach die Angst vor ihnen. Und auch wenn das nicht nach dem leichteren Weg aussieht und auch kein leichter Weg ist, ist es im Endresultat der Weg, der einfach dahin führt, dass ich glücklicher, sicherer und aber immer noch nah und lebendig bin in meiner Beziehung zu einem Menschen oder zum Leben selber.
Den Erdbeben und Erschütterungen kann ich auf Dauer sowieso nicht entgehen, aber was ich schon lernen kann, ist mit ihnen zu tanzen. Und um zu tanzen, braucht man aber immer auch Mut. Jemand, der Angst hat, zu fallen oder zu stolpern, der tanzt entweder nicht frei oder sogar eher noch gar nicht. Und diese Sicherheit und tänzerische Leichtigkeit im Umgang mit Abgründen und Erdbeben, die kann man sich aber mit der Zeit wirklich erarbeiten.
Das heißt jetzt nicht, dass jeder, der noch keine Gewalterfahrung in seinem Leben gemacht hat, jetzt schnell mal nach einer suchen soll, damit er genug Abgründe kennen lernt... Irgendwo finden die Abgründe sowieso zu uns und ihr könnt getrost darauf vertrauen, dass der Abgrund, der euch gerade verfolgt, einfach auch der ist, der auf irgendeine Art für euch bestimmt ist. Er ist quasi das Schwimmbecken, in dem ihr jetzt Tiefseetauchen lernen sollt, oder das Erdbeben, das euch Tango beibringen will (das Leben ist nämlich wirklich ein genialer Tanzlehrer).
Und vielleicht ist der Abgrund, der euch gerade verfolgt, die vielen Konflikte und Streitereien in irgendeiner eurer Beziehungen oder im Gegenteil das Schweigen oder die Eintönigkeit darin. Und beides kann schon ein ziemlich tiefer Abgrund sein. Meine Erdbebentänze sind momentan auch eher noch Stolpertänze, aber von meinen größeren Stolperern, Ausrutschern und Stürzen weiß ich, dass das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass ich in mich falle. Kein Fall, egal in welchen noch so tiefen und dunklen Abgrund, hat mich je woanders landen lassen als bei mir selbst. Und meistens sogar mehr bei mir selbst als davor.
So don't worry, folks :-) And dance!
Der Sand ist einverstanden, deine Spuren zu tragen... Heißt für mich also: Ich bin einverstanden, mich von dir erschüttern, von dir verändern, von dir bewegen, in deine und meine und unsere Abgründe schmeißen zu lassen. Und mein Vertrauen in dich, in uns, ins Leben hört nicht auf, wenn du mich mal verletzt. Ich werde dahin kommen, dass ich den Schmerz, den du mir zugefügt hast, irgendwann ansehen und verstehen und lieben und dankbar dafür sein kann. Ich lebe Hingabe. 

 

Freitag, 6. Februar 2015

Jenseits der Angst, Teil 2: Angstakkorde und Liebestöne

Jenseits der Angst sind goldene Bäume gepflanzt...

Zwei Gedanken habe ich im letzten Post schon angerissen, auf die ich heute nochmal näher eingehen will. Zum Einen, dass die Angst vor Trennung eigentlich das ist, was mich dann erst wirklich trennt und aus der Verbundenheit heraus reißt, die nämlich eigentlich immer da ist. Und zum Anderen, dass ich immer in ganz, ganz vielen Beziehungen bin und gar nicht ohne Beziehung sein kann.
Irgendwie geht es hier ja auch viel um Beziehung... natürlich! Beziehungen sind nämlich eines meiner Lieblingsthemen und mit Sicherheit das Thema, über das ich seit jeher am meisten nachdenke. Jetzt bin ich natürlich nicht seit zwanzig Jahren glücklich verheiratet und so gesehen also keine qualifizierte Eheberaterin. Zwanzig Jahre glücklich verheiratet zu sein, ist aber auch gar nicht mehr mein persönliches Ziel.
Es gab aber eine Zeit, in der das mein Ziel war, und in der ich auch dachte: Wenn ich mit 50 nicht glücklich verheiratet bin und mindestens drei Kinder habe, dann fehlt irgendwas in meinem Leben, dann hab ich nicht genug Liebe in meinem Leben, nicht genug Beziehungen, um glücklich sein zu können. Und ich hatte auch wirklich Angst oder eigentlich sogar Panik: was, wenn ich dieses Ziel nicht erreiche? Was, wenn ich ohne diese für mich so wichtigen Beziehungen bin?
Und diese Angst ist aber inzwischen zum Glück komplett weg. Inzwischen weiß ich, dass ich, egal ob ich mit 50 glücklich verheiratet bin und eine Großfamilie habe oder eine „allein stehende“ Singlefrau bin oder in einer Kommune lebe, erfüllende Beziehungen haben kann und haben werde. Weil ich eben nie ohne Beziehung bin. Ich kann gar nicht ohne Beziehung sein.
Ich kann mich natürlich getrennt und allein und isoliert fühlen und anscheinend ist das auch ein Blickwinkel, den wir – zumindest hier in Europa – auch besser beherrschen als den, der uns Verbundenheit zeigt. Mir ging es zumindest so, dass ich eine Zeit lang (eine ziemlich lange Zeit) mein Gefühl für Verbundenheit komplett verloren hatte.
Inzwischen ist es eher so, dass ich mich ernsthaft frage, ob man sich überhaupt von irgendjemandem oder irgendetwas „trennen“ kann. Ob man Beziehungen wirklich beenden kann.
Und die meisten Paare, die sich trennen, machen das auch ganz wundervoll vor... Wenn ich mir die meisten geschiedenen Ehepaare so anschaue, die angeblich ihre Beziehung zueinander beendet haben, dann denke ich mir meistens: Naja, Leute, ihr habt eigentlich sogar eine ziemlich intensive Beziehung in meinen Augen, nämlich eine intensive Wut- oder Hass- oder Kampfbeziehung... aber ihr seid jedenfalls absolut bezogen aufeinander.
Und so gesehen habe ich dann wirklich mit jedem Menschen, der ab und an in meinem Kopf auftaucht, eine Beziehung, auch wenn der Mensch seit zehn Jahren in Alaska wohnt und ich ihn seitdem nicht mehr gesehen habe. Ich habe eine Beziehung mit der Luft, die ich atme, und auch mit den Leuten, an denen ich auf der Straße vorbei laufe.
Ich bin auch der Meinung, dass, wenn sich 100 Leute in einem Raum befinden, alle diese 100 Leute miteinander reden, auch wenn sie das nicht tatsächlich verbal tun. Aber ich bin absolut überzeugt davon, dass wir alle viel, viel feiner kommunizieren, als wir bewusst wahrnehmen. Und dass wir über Energien und Schwingungen eigentlich die ganze Zeit miteinander quasseln und ganz viel Kontakt und Austausch zwischen uns allen passiert, den wir oft einfach nur nicht mitbekommen. Inzwischen hat sich meine Wahrnehmung auch so verfeinert, dass ich zumindest bei Menschen, die mir sehr nah sind, oft vorher weiß, wann ich ihnen auf der Straße begegne, weil ich einfach merke, dass sie schon vorher Kontakt aufnehmen. Also ich höre quasi das Klingeln an der Tür, bevor sie dann vor mir stehen. Oder ein bisschen ist das auch wie ein Chatfenster und ich sehe und spüre einfach, wer gerade online ist, bevor die Person mich dann anschreibt. So würde ich das beschreiben.
Deshalb glaube ich auch, dass der Satz „Ich habe keine Beziehung zu so und so“ eigentlich entweder umformuliert werden müsste zu „Ich habe eine unpersönliche Beziehung zu so und so“ oder sogar eher noch „Ich bin mir nicht bewusst darüber, dass ich eine und was für eine Beziehung ich zu so und so habe“. Aus meiner heutigen Sicht ist nämlich einfach wirklich alles auch Beziehung und ich kann das auch in der Natur und auf so vielen Ebenen immer wieder beobachten. Aber diesen Blick, der Verbundenheit sieht und nicht Trennung und der die feinen Verbindungs- und Kontaktlinien wahrnimmt, die mich mit allem um mich herum vernetzen, den musste ich wirklich erst wieder lernen.
Obwohl ich ja immer verbunden sein wollte. Und die Angst vor Trennung ja gerade meine schlimmste Angst war, wie bei wahrscheinlich vielen von uns. Die Angst vor Trennung setzt aber eben dummerweise schon den Glauben voraus, dass ich überhaupt getrennt sein kann. Also in dem Augenblick, in dem ich Angst davor habe, getrennt zu sein, verlassen oder verletzt zu werden oder jemanden zu verlieren, da habe ich das Bewusstsein dafür, dass ich ja sowieso immer verbunden bin, eigentlich schon verloren. Wenn ich sozusagen den Angstakkord spiele, dann können dazu keine Verbundenheits- oder Liebestöne erklingen, die passen da einfach nicht dazu, das ist eine ganz andere Harmonie, eine ganz andere Schwingung.
Und wenn gerade Angst in mir schwingt, dann schwingt da nicht gleichzeitig Verbundenheit oder Liebe. In spirituellen Kreisen würde man auch sagen, dass Angst eine niedrig schwingende Energie ist. Deswegen fühlt sich Angst als Gefühl auch nicht gerade gut an. Liebe wirklich als Gefühl fühlt sich meiner Meinung nach immer gut an. Unglückliche Liebe gibt’s für mich inzwischen nicht mehr. Unglückliche Beziehungen schon, aber nicht unglückliche Liebe. Wenn ich in meiner Liebesbeziehung gerade unglücklich bin, dann wahrscheinlich, weil ich gerade Angst fühle oder Trauer oder Wut oder Schmerz. Aber wenn ich Liebe fühle, dann ist das einfach immer ein ziemlich genialer Gefühlszustand.
Ein Beispiel, das es vielleicht ein bisschen verdeutlicht, ist Angst um jemanden. Angst um jemanden zu haben, den man liebt, kommt uns normal vor und ist es wahrscheinlich auch. Trotzdem sind es zwei verschiedene Gefühle und wenn das eine da ist, kommt das andere nicht mehr richtig durch. Zumindest habe ich es noch nie geschafft, gleichzeitig die Angst oder die Sorge um jemanden zu fühlen und die maßlose Freude und Begeisterung darüber, wie wundervoll dieser jemand ist. Und ob ich jemanden mit einem sorgenvollen oder liebevollen Blick anschaue, ist auch ein ziemlicher Unterschied. Da kommt auch beim anderen was ganz anderes an, da schwingt was ganz anderes zwischen uns.
Und das Eine kann nur frei fließen, wenn es nicht vom anderen überlagert wird. Ich kann nur in der Verbundenheit sein, wenn mich nicht meine Angst, meine Wut, was auch immer, da wieder raus reißen. Und Liebe als Gefühl ist für mich auch nur spürbar und erlebbar, wenn gerade kein anderes Gefühl da ist, dass irgendwie dominanter ist. Das heißt nicht, dass ich den Menschen, um den ich Angst habe, nicht wirklich liebe, aber wenn ich die Angst spüre, dann spüre ich die Angst und nicht die Liebe.
Ein Bild, das ich immer gern verwende, um das Problem mit der Angst zu beschreiben, ist, dass die Angst wie ein Fluss ist, der immer trennt. Angst reißt immer irgendwas auf und irgendwas auseinander, Angst ist immer ein „Zwischen“. Und demgegenüber würde dann das Meer aus Furchtlosigkeit stehen, in dem Verbundenheit wirklich erlebbar ist, in dem spürbar ist: Ich bin total vernetzt, ich bin total eingebettet in und getragen von Beziehungen und ich habe kein Trennungsgefühl mehr, kein Gefühl mehr von „Zwischen“.
Andererseits ist dieses trennungslose Meer natürlich auch ziemlich furchteinflößend für uns alle und da ist es dann oft doch vermeintlich leichter für uns, am einen Ufer des Angstflusses zu stehen und der Person, die gegenüber steht, mit der wir verbunden sein wollen, zuzuwinken. Früher oder später ertrinkt die Angst aber in sich selber und Flüsse fließen ja auch immer Richtung Meer.
Der Satz „Jenseits der Angst sind goldene Bäume gepflanzt“ bedeutet für mich also, dass jenseits der Angst der Ort ist, an dem ich meine Beziehungen als erfüllend erlebe. Ich muss also „nur“ den Angstfluss überqueren oder mich von der Flut mitnehmen lassen, dann brauche ich keine glückliche Ehe und keine fünf Kinder, dann „brauche“ ich keine Beziehungen mehr, um glücklich zu sein, sondern dann bin ich einfach in Beziehung, bin verbunden.
Gold ist für mich auch die Farbe der Glückseligkeit. Und eben Glückseligkeit wirklich im Sinn von tiefem, seelischen Glück.