Es war
einmal eine Prinzessin mit strahlenden Augen.
Eine
neidische Fee hörte eines Tages das glückliche Lachen der
Prinzessin und sah die Sonnen in ihren Augen leuchten. Da die Fee
selbst schon lange nicht mehr lachte und ihre Augen vom Leben getrübt
worden waren, verfluchte sie aus Eifersucht die strahlenden Augen der
Prinzessin.
„Deine
Augen sollen sehen wie meine“, sprach die neidische Fee. „Die
leuchtenden Sonnen will ich dir stehlen und keine Farben sollen dir
zurück bleiben. In einer grauen Welt aus Schwarz und Weiß sollst du
leben. Die schönen Formen will ich dir verzerren, bis ihre scharfen
Kanten tief in deine Seele schneiden. Wenn Glück und Liebe zu dir
kommen, sollst du blind an ihnen vorüber gehen. An dem Tag, an dem
dir alle Farben geschenkt werden, soll mein Fluch sich erfüllen und
alle Farben musst du für immer verlieren. Fliehen sollst du vor dem,
der dich in allen deinen Farben liebt, und einsam wirst du sterben.“
Die
Prinzessin hörte die Worte der Fee nicht mit ihren Ohren, denn die
neidische Fee hatte sich vor der Prinzessin hinter einem großen Baum
versteckt. Doch der grausame Fluch berührte die Seele der Prinzessin
und hinterließ darin seine Spuren.
Als die
Prinzessin groß genug war, um das Haus ihrer Eltern zu verlassen,
wurde sie von einem Prinzen gefunden. Gemeinsam öffneten sie die
Tür, hinter der die Prinzessin ihr Leben lang verborgen gewesen war.
Denn, dass er zu ihr kommen würde, um sie in eine größere und noch
schönere Welt zu entführen, war seit langem abgesprochen gewesen.
Der Prinz schenkte der Prinzessin einen Blumenstrauß, der jede
einzelne Farbe auf dieser wunderschönen Erde und auch solche, die
noch nie gesehen worden waren, enthielt.
Die
Prinzessin wusste, kein anderer Prinz hätte das für sie vermocht.
Und noch am selben Abend beschloss sie, diesen und keinen anderen
Prinzen zu heiraten. Denn sie erkannte in ihm den, den ihre Seele
sich schon vor langer Zeit zu ihrem ewigen Gefährten gewählt hatte.
Prinz und Prinzessin waren selig vor Glück und tanzten in einem
Himmel, der nur ihnen beiden gehörte.
In der Nacht
jedoch begann der Fluch der bösen Fee zu wirken.
Schreiend
warf die Prinzessin den Strauß schwarzer welker Rosen von sich, den
sie mit einem Mal in der Hand zu halten glaubte. Ungeziefer krabbelte
über die verdorrten Blüten. Die Dornen stachen in ihre Haut und um
sich herum hörte die Prinzessin das Wehklagen von abertausend
Stimmen, die ihr endloses Leid herbei sangen. Was für einen Schmerz
und was für eine Traurigkeit hatte der Prinz in ihr Leben gebracht!
Und die
Prinzessin flüchtete zurück in das Haus, das sie für den Prinzen
verlassen hatte. Sie hörte ihn an ihre Türe klopfen und es klang
wie Hammerschläge in ihrem Ohr. Bald sah sie auch seine Gestalt vom
Fenster aus, sein Bild spiegelte sich schrecklich im Glas. Gerade
eben noch war er schön gewesen, jetzt sah sie in ihm das
schrecklichste aller Monster.
„O weh“,
klagte die Prinzessin. „Was für ein Fluch liegt auf mir, dass
alles Schöne sich so schnell in Schreckliches verwandelt hat!? Meine
schönen Blumen sind verwelkt, mein Prinz ist zu einem Monster
geworden! Warum hat sich mein Leben in einen Albtraum verkehrt?“
Und weil sie
den Anblick und das Klopfen des Prinzen nicht ertragen konnte, floh
die Prinzessin hinein in einen tiefen, dunklen Wald. Die Tiere des
Waldes sahen, dass sie voller Schmerz war. Sie versuchten sich ihr zu
nähern und ihre getrübten Augen zu heilen. Aber die Prinzessin floh
bald auch vor ihnen. Sie fürchtete sich vor allem, denn wohin sie
auch blickte, sah sie ihre schlimmsten Albträume lebendig werden.
Tief hinab
unter die Wurzeln eines sehr alten Baumes kroch die Prinzessin. Dort
blieb sie einen langen, kalten Winter lang und versteckte sich vor
der Welt. Selbst der Gesang der süßesten Vögel konnte sie nicht
zurück an die Oberfläche locken, denn er klang in ihren Ohren wie
der Schrei von schrecklichen Fledermäusen.
Und der
Prinz, der die Prinzessin verloren hatte, war verzweifelt. Bis tief
in den Wald hinein war er ihr gefolgt und die Tiere hatten ihm von
ihrem Schmerz berichtet. In seiner Not bat der Prinz die Vögel:
„Sprecht mit ihr! Ich weiß, dass sie mich nicht hören kann! Sagt
ihr, dass ich immer noch nach ihr suche, dass ich noch immer auf sie
warte, dass ich sie immer noch liebe!“ Und als die Vögel traurig
die Köpfe schüttelten, bat er das Rauschen der Blätter, für ihn
zu sprechen.
„Ich weiß
nicht, wie ich sie erreichen soll!“, verzweifelte er. „Nur wenn
ich einmal in ihre Augen sehen kann und sie in meine, kann ich ihre
Krankheit heilen. Wenn sie in meinem Strahlen ihr eigenes erinnert.
Wenn sie durch die Liebe in meinen selber wieder liebend wird.“
Der uralte
Baum, bewegt von den Worten des Prinzen, seufzte: „Du kannst ihren Blick nicht erzwingen, Prinz. Doch
du hast lange auf sie gewartet und lange nach ihr gesucht. Wenn du
sie wirklich liebst, dann wird sie deinen Blick erwidern. Wenn es
wahr ist, dass sich eure Seelen vor langer Zeit schon zusammen getan
haben, dann werdet ihr unweigerlich wieder zueinander finden.“
Und dann
stellte der uralte Baum dem Prinzen eine Frage: „Kannst du dich
selbst noch sehen, wie dich die Prinzessin gesehen hat, bevor ihr
Blick sich trübte? Und bist du noch derselbe?“
Der Prinz
dachte darüber nach und schloss kurz seine Augen. Und nickte dann.
„Ja, ich weiß noch, wie sie mich angesehen hat. Und ich sehe in
mir, was sie in mir gesehen hat. Ich bin derselbe, der ich damals war.“
Und es
geschah, was noch nie zuvor geschehen war: Der ururalte Baum machte
einen Schritt zur Seite und gab den Blick frei auf die schlafende
Prinzessin. Erschrocken fuhr sie hoch und sah um sich. Durch die
dunklen Nebelschleier in ihren Augen brachen die goldenen Sonnen in
den Augen ihres Prinzen. Der Fluch der eifersüchtigen Fee hatte
seine Wirkung verloren. Der Prinz hatte für die Prinzessin gesehen,
während sie in dunkler Nacht gelebt hatte, und hatte das Licht in
ihren Augen wieder entfacht. Und die Prinzessin erwachte endgültig
und für immer aus ihrem schrecklichen Albtraum. Ihre Augen leuchteten, wie sie es einst, vor dem Fluch, getan hatten.
Am Tag ihrer
Hochzeit trug die Prinzessin ein Kleid, das, wie der Strauß, den sie
in Händen hielt, in allen Farben erstrahlte, auch in denen, die noch
nie zuvor gesehen worden waren. Sie und der Prinz tanzten durch
einen ewigen Himmel.
Die
Prinzessin war die glücklichste Frau der Welt. Solange, bis auch der
Rest der Welt ebenso glücklich geworden war wie sie, solange, bis alle Augen wieder strahlten. Selbst die
unglücklich eifersüchtige Fee erlangte eines Tages all ihre eigenen
Farben zurück.