Ein ziemlich alter Text. Geschrieben circa 2009. Aber immer noch vollkommen wahr...
Jeder Mensch hat
Zeit-Räume.
Räume mitten in der
Zeit, an die er immer wieder zurück kehrt. Räume, die er immer
wieder aufschließt, weil er sehen will, was darin ist. Er will
vielleicht sich sehen, wie er war, zu einer anderen Zeit. Er will
vielleicht einen Menschen wieder sehen, den er einst aus den Augen
verloren hat. Zeit-Räume sind Erinnerungsräume.
Und manche
Erinnerungen sind den Menschen so kostbar, dass sie die Schlüssel zu
ihren Türen immer bei sich tragen. In Form von Fotos in einer
Schublade zum Beispiel. Oder in Form von Sätzen, die man sich nur
ins Gedächtnis rufen muss, um eine schmerzlich vermisste Stimme noch
einmal zu hören.
Es gibt auch solche
Zimmer, deren Türen immer offen stehen, weil wir ständig in ihnen
ein- und ausgehen. Und manchmal richten wir uns auch häuslich ein in
diesen schönen Räumen, in denen glücklicherweise alle
Raum-Zeit-Gesetze keine Gültigkeit mehr besitzen, und vergessen dabei
unser eigentliches, viel zu karges Zimmer namens Gegenwart mit der
hässlichen Aufschrift „Willkommen in der Realität“ an
der Tür.
Ja, manchmal lassen
wir diese Tür lieber geschlossen und bleiben in unseren Zeit-Räumen.
Mein Zeit-Raum ist
weniger ein Zeit-Raum, als vielmehr ein Zeitlos-Raum. Ich habe
keinen handfesten Schlüssel für meinen Zeitlos-Raum, außer meinem
eigenen Herzen. Wenn dieses Herz wieder einmal zu wild pulsiert und
pocht und genauso wenig wie der
Flügelschlag eines flatternden Kolibris zur Ruhe kommen mag, dann
muss ich es mir einfach aus der Brust nehmen und dieses arme,
malträtierte, unvernünftige Ding in seiner Mitte aufbrechen.
All diese unruhigen
Gefühle können dann hinfort flattern und die Leere, die kann heraus
strömen… Und diese Leere, die sanft wie das Licht aus meinem
aufgebrochenen Herzen schwappt, überflutet bald den ganzen Raum, in
dem ich stehe, und verwandelt ihn in einen Zeitlos-Raum.
Es gibt dann keine
Zeit mehr und auch keinen Raum und ich beobachte mich amüsiert
dabei, wie ich in meinem Nirwana herum schwimme. Wie ich reglos dahin
treibe, immer zu versinken drohe und mich dann doch immer wieder hoch
strampeln muss, raus aus der Leere, rein ins Leben, um mein
Kolibriherz noch ein bisschen fliegen zu lassen, bis es wieder so
schnell wird, dass seine eigene Geschwindigkeit es zur Aufgabe und
zur Rückkehr in die wohltuende Leere zwingt…
Und noch einen Grund
habe ich, immer in meinen Zeitlos-Raum der Leere zurückzukehren.
Denn nur dort kann ich dir ohne Leid nahe sein. Denn dort, wo ich
aufhöre, beginnst du. Und je tiefer ich in meiner Leere versinke,
desto mehr lasse ich mein Leben und alles, was mich von dir trennt,
zurück. An der Schwelle zur Selbstaufgabe, zur Hingabe an diese
Tiefe, diese tiefe Leere wartest du auf mich. Ich werde die Schwelle
vielleicht nie überschreiten, aber es ist schön, dich dort stehen
und warten zu sehen.
Deshalb vergesse ich
so oft die Existenz der Zeit und dämmere in meinem Zeitlos-Raum
dahin, eingehüllt in dein schattiges Licht.
Hast du auch einen
Zeitlos-Raum?