Ich
kann es immer noch nicht glauben. Nicht so richtig. Aber verzweifeln
kann ich auch nicht mehr. Nicht so richtig. Weil es immer unmöglicher
wird, die Augen zu verschließen vor den ganzen kleinen Wundern. Die
immer noch groß genug sind, um mein ganzes Leben, mein ganzes
Dasein, wie ich es einmal kannte, mit sich zu reißen.
Diese
ganzen beschissenen kleinen Wunder haben mich vielleicht am
allermeisten in die Verzweiflung gestürzt. Und lassen doch nicht zu,
dass ich einfach aufgebe... Weil ich jetzt ja fast schon glauben
muss. Also hänge ich hier, im Irgendwo, kann nicht richtig
glauben und nicht richtig verzweifeln und tue irgendwie beides.
Meine
Entscheidungen... all diese schrecklichen Entscheidungen. Im letzten
Frühjahr hatte ich entschieden, dass ich dir ein Bild malen will.
Dass ich dir ein Bild von uns malen will. Unsere Farben, unsere
Energiekreise, die noch nicht verschmelzen können, aber sich hinter
unseren löchrigen Mauern schon aufeinander zu bewegen, sich
anlächeln. Manchmal entweichen Farbtupfer durch die Löcher in den
Mauern... Begegnen sich in einem Zwischenraum. Vermengen sich mit
Splittern des anderen, diesen kleinen Splittern, die doch immer
durchschimmern durch unsere Mauern. Eigentlich, weißt du, eigentlich
sind unsere Schutzmauern nämlich ziemlich lächerlich.
Sie
schützen uns nicht. Und verbergen können sie uns schon zehnmal
nicht.
Es
war warm und ich wollte auf dem Balkon malen. Ich erinnere mich
daran, weil es so schön war. Weil ich den Pinsel, als ich ihn in die
Hand nahm, auch schon wieder abgeben konnte. Ich hatte dieses Gefühl,
wie manchmal beim Singen oder Schreiben, dieses Gefühl, dass ich weg
war. Abgetaucht in einen Ozean, der ganz von selbst Töne und Wörter
und Farben hervor bringt. Ohne Anstrengung, ohne Überlegung. Ich war
weg. Nur meine Hand malte. Die Farben haben sie zu sich gerufen. Es
war bei keinem anderen Bild so stark gewesen, das Gefühl, weg zu
sein, das Gefühl, übernommen zu werden, das Gefühl, dass die
Bewegung, die gleich das Bild entstehen lassen wird, schon da ist.
Und ich... ich muss nur nachgeben, ich muss nur zurück treten und
abtauchen. Und dann kann es geschehen, weil es schon immer da war,
die Wellen wissen genau, wo sie hin müssen...
Und
diesmal waren es farbige Wellen, kreisende Wellen, schnell entstand
das Bild. Ich musste nicht anhalten. Ich musste nie zögern oder
überlegen. Die Farben haben sich für sich selber entschieden. Ich
glaube nicht, dass mein Verstand sie gewählt hätte. Und dann war
alles da. Und so schön und so stimmig. Es fühlte sich so richtig an
das Bild, so wahr. Unsere Farben, unsere Energiekreise, unsere
lachhaft dünnen Mauern... Die Farbtupfer und Energiesplitter
dazwischen, in dem Gemisch zwischen uns. In der Zwischen-Illusion.
Ich
hätte es wahrscheinlich nicht aufhalten können, dieses Bild. Es war
ja schon da. Hat nur auf einen passenden Moment gewartet, um meine
Hand zu übernehmen, um ins Leben gerufen zu werden. Und es war ja
auch schön. Noch in seinem Entstehen hat es mich mit so viel Licht
und Liebe geflutet, dass ich es nicht bereuen kann... nachgegeben zu
haben. Auch wenn es alles so verhängnisvoll erscheint im Nachhinein.
Und ich wünschte ich hätte nicht entschieden... was wahrscheinlich
keine Entscheidung war.
Viele
aneinander gereihte kleine Entscheidungen sind zu der Welle geworden,
die alles und mich fort gerissen hat, fort aus meinem kleinen,
vertrauten und sicheren Leben. Die Welle war schon immer mächtiger.
Die Entscheidungen gehen einfach unter in ihr. Sie gehören ihr. Sie
sind nur ihre Wassertropfen und bewegen kann nur sie.
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